Freitag, 12. Oktober 2007

Bilanzüberschuss

Beim ART FORUM BERLIN wird Bilanz gezogen: Man spricht von „exzellenten Verkäufen“ und „bester Stimmung“, lässt es sich aber auch nicht nehmen, mit Zelebritäten zu prunken. Dabei reicht das Prominenzverständnis der Pressestelle von Katie Holmes bis zu lokalen Seifenopersternchen. Der Weg der Kunstmesse zum Hollywood-Blockbuster will eben auch in seinen Niederungen durchschritten sein. Am Ende jedoch zählen nur die Verkäufe, und die übertrafen vielfach die berlinüblichen Erwartungen.

Sönke Magnus Müller (magnus müller, Berlin) etwa behielt mit seinen optimistischen Prophezeiungen Recht und verkaufte neben chit.chat (EUR 40.000 Euro,-) von Jürg Mayer H. zuletzt noch 2 Lambda-Prints auf Aluminium von Sabine Groß für je EUR 9.000,- an einen Privatsammler sowie die Sammlung des Bundes. Ronmandos, Rotterdam/Amsterdam wurde mehrere Kohlezeichnungen von Renie Spoelstra los, unter anderem an Joop van Caldenborgh, Begründer der Caldic Collection. Zudem erwarb eine öffentliche amerikanische Sammlung drei Videoarbeiten von Hans op de Beeck. Erstteilnehmerin Marianne Boesky aus New York fand einen Käufer für ein Gemälde von Kon Trubkovich (USD 20.000,-).
Bei Jan Wentrup, Berlin, gingen Skulpturen von Neuzugang Thomas Kiesewetter an Londoner und Berliner Privatsammlungen,
darunter eine Arbeit zu EUR 25.000,-.
Mario Testino erwarb dort auch Kikis Ring (2007) von Gregor Hildebrandt - 206 x 206 cm Kassettentape auf Leinwand für EUR 16.000,-. Jochen Hempel (Dogenhaus, Leipzig) konnte die beiden ironisch distanzierten Malereien von Ulf Puder an den Mann bringen, so auch eine Kleine Figurensäule (2007) aus Holz von Stephan Balkenhol im Wert von EUR 35.000,-. Das frisch zur Messe in Öl auf Nessel gemalte Großformat Schergen (430 x 550 cm) von Jonas Burgert, ging bei der Produzentengalerie für stolze EUR 120.000,- über den Tisch. Andrée Sfeir-Semler (Sfeir-Semler, Hamburg/Beirut) berichtete vom Verkauf einer der ersten Spiegel-Arbeiten von Michelangelo Pistoletto Divisione Moltiplicazione von 1973 (EUR 50.000,-). Sämtliche, stets in häuslichen und rätselhaft melancholischen Szenen angelegte Bilder von Susanne Kühn konnte Goff + Rosenthal, New York/Berlin veräußern, darunter Quite Place (EUR 45.000,-), das in der Sonderausstellung „House Trip“ zu sehen war.

Bei Johnen Galerie, Berlin fanden Wiebke Siems Skulptur Wanderers Nacht (EUR 15.000,-), das Ultrachrome Print Unbestechliche Archive 4 von Olaf Holzapfel (EUR 14.000,-) und das Gemälde Cosmos (EUR 16.000,-) des polnischen Shooting-Stars Rafal Bujnowski einen neuen Besitzer.Unterschiedlich waren die Reaktionen und Verkaufsergebnisse für die erstmals in Halle 11.2. konzentrierten Freestyle-Galeriestände. Eine positive Bilanz zogen Gazonrouge, Athen, deren Stand bereits am Vernissagetag ausverkauft war.

Bei Cherry and Martin, Los Angeles, fanden Arbeiten von Daniel Dove für USD 16.000,- sowie Taboo-Hoo, eine Skulptur von Nathan Mabry zu USD 55.000,- einen Käufer, und Ursula Walbröl konnte bereits am Vernissagetag einen Privatsammler für die große, im Raum schwebende Cut-Out-Zeichnung Electric Brae des jungen Künstlers Philip Loersch begeistern (EUR 9.000,-). Einen Ausverkauf verzeichnete auch Iris Kadel, Karlsruhe nach ihrer Solopräsentation von Matthias Bitzer mit dem TitelNames“, dem zweiten Teil einer als Trilogie angelegten Serie, die sich

auf die vielseitige Persönlichkeit von Emmy Ball-Hennings bezieht. KB










Bild 1 - Sabine Groß, „Ohne Titel“, magnus müller, Berlin
Bild 2 - Gregor Hildebrandt, „Kikis Ring“, Jan Wentrup, Berlin
Bild 3 - Jonas Burgert, „Schergen“, Produzentengalerie, Hamburg, Foto: Peter Sander
Bild 4 - Susanne Kühn, “Katja reading a book”, Goff + Rosenthal, Berlin/New York
Bild 6 - Wiebke Siem, „Wanderers Nacht“, Johnen Galerie, Berlin
Bild 5 - Olaf Holzapfel, „Unbestechliche Archive 4“, Johnen Galerie, Berlin
Bild 7 - Philip Loersch, „Electric Brae“, Ursula Walbröl, Düsseldorf

Dienstag, 2. Oktober 2007

Die Verstrickung suchen! Hans-Jürgen Hafner wird nächster Kurator der Sonderausstellung des ART FORUM BERLIN

Noch ist Ami Baraks wohltuend entspannte Sonderausstellung „House Trip“ beim ART FORUM BERLIN 2007 nicht abgebaut, da stellt die Messeleitung bereits dessen Nachfolger vor. 2008 wird Hans-Jürgen Hafner die Aufgabe haben, am Rande des Verkaufsgetümmels der Galerien und Sammler der Kunst einen von Preisschildern freies Reservat einzurichten. Der 1972 geborene Kurator, gelegentliche DJ und freie Autor hat die Messe mit einem ebenso wagemutig erscheinenden wie subjektiv gefärbten Konzept überzeugt. Hafner, ein konsequenter Verfechter des beharrlich kritischen Diskurses trägt nicht die Namen kunstmarktmächtiger Wirkungsstätten und Auftraggeber vor sich her. Der aus dem wallfahrtsnobilitierten Freystadt in Bayern stammende Wahlberliner hat durch eher kleine, doch durchdachte Ausstellungen überzeugt, zuletzt etwa „The Most Contemporary Picture Show, Actually“ in der Kunsthalle Nürnberg, einer ebenso durchdachten wie sperrigen Schau, die für das ART FORUM BERLIN 2008 interessante, vielleicht sogar riskante Ansätze erwarten lässt.Bislang stehen eher theoretische Leitlinien des Konzepts fest. Hafner will mit aller Entschiedenheit die Konvention der „Ideen- und Themenausstellung“ vermeiden und die „Situation“ am Messerand als „Material“ für sich nutzen. Hafner will nicht wie Barak den Kontrast zur Messe herstellen und eine Enklave für die Kunst schaffen, sondern sich „verstricken“. Aus diese Annäherung an die Messe und ihren Markt sollen Antworten auf eine grundlegende Frage gewonnen werden, nämlich der nach den feinen Unterschieden, die aus Kunst Kunst machen oder sie in anderen Kontexten zum Verschwinden bringen können. „Difference, what difference“ heißt Hafners Schau, wie er sagt. Dabei sucht er nach dem schleichenden Übergang zwischen Messe und Ausstellung – der Verstrickung eben. „um aus jeder Verstrickung eine Distinktion herauszuschlagen“. Damit nistet sich die Institutionskritik in den Messehallen ein. Hafner will fragen, wie diesseits und jenseits die Ausstellungsweise die Kunst beherrscht. Gelingt ihm dies, wird das Publikum nicht nur etwas zu sehen, sondern auch etwas zu denken bekommen. GG

Hans-Jürgen Hafner
Foto: Stefan Maria Rother
© Messe Berlin

Senat stiftet Preise für beste Stände

Unter dem Blitzlichtgewitter des Messefotografen wurde nebst Blumen, Champagner und einem warmen Lächeln des extra eingeflogenen Wirtschaftssenators Harald Wolf heute um 18 Uhr der Preis für die besten Stände vergeben. Die Federführung der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen hat die Preisverleihung seit 2004 inne, gestiftet wird er von der Berliner Landesinitiative „Projekt Zukunft“. Der beste Freestyle-Stand bekommt 2.500,- Euro, der beste Einzelstand 4.500,- Euro. Ausgewählt werden die Galerien von rund 100 Kunstsammlern, die im Rahmen des Collector’s Program zu Gast beim Art Forum sind, den Ausstellern, Mitgliedern des Zulassungsausschusses, der Messejury sowie in diesem Jahr zum ersten Mal den akkreditierten Journalisten.
Bester Einzelstand ist die aus Basel kommende Galerie Friedrich, die sich mit einer Einzelpräsentation von Betahn Huws zum ersten Mal bei der Messe gezeigt hat. Huws ist Waliserin und zurzeit als Stipendiatin des DAAD in Berlin. In ihre konzeptuellen Arbeiten bedient sie sich mit den unterschiedlichen Medien, so etwa Film, Objekte, Skulptur, Zeichnung und Installation. Es geht um das Thema Übersetzung, nicht nur von Sprache, sondern auch von Tradition, Kultur und Erinnerung.
Bester Freestyle-Stand ist die Galerie Iris Kadel aus Karlsruhe. Sie ist in diesem Jahr zum zweiten Mal dabei. In diesem Jahr zeigt Kadel Arbeiten von Matthias Bitzer, der zwischen Skulptur, Malerei und Installation arbeitet. Ein Porträt der Künstlerin und Mitbegründerin des Dadaismus Emmy Ball-Hennings wird erzählt, zwischen Fiktion und Authentizität. Entschieden hatte sich Kadel für Bitzer, um in einem Einzelstand die Komplexität eines noch unbekannten Künstlers zu zeigen. AS

Gemäldehafte Präsenz: Dvir reüssiert erneut mit politischer Fotografie

Manchmal scheint Bildjournalismus sich in Kunst zu verwandeln, weil die Wirklichkeit komplexer und widersprüchlicher als die Verkaufsklarheit der Medien ist. Anders als mancher "Magnum"-Fotograf, der mit Ausdauer seinen Aufstieg in die konservatorische Unsterblichkeit der Fotomuseen sucht, präsentiert die Galerie Dvir auf dem ART FORUM BERLIN einen Fotografen, dessen Bilder sich, man möchte fast meinen: automatisch als Reaktion auf die monströse politische Realität zu einer nahezu gemäldehaften physischen Präsenz verdichten. Pavel Wolbergs Fotografien entstammen einer genuin journalistischen Praxis, schauen den Betrachter aber wie sphinxische Vexierbilder an. Sie entscheiden nichts. Sie entwickeln, ohne je obszön zu wirken, einen fast karnevalesken Gleichmut, eine teilnehmende Neutralität, die sich in Formalität zurückzieht, um den Inhalt nicht in einem definierten medialen Rahmen einengen zu müssen. Erfreulich also, dass sich eine Präsentation des unvereinfachten politischen Lebens für eine Galerie auszahlt. Die C-Prints Hebron (2004) und Jerusalem (2006) wurden an institutionelle Sammler verkauft (je 6.500 Euro, das Hebron-Motiv an zwei Käufer), darunter auch eine ungenannte Unternehmenssammlung. Bemerkenswert, dass die Galerie Wolberg auch schon im Vorjahr ausgesprochen erfolgreich zu verkaufen vermochte, aber keine Arbeit an eine deutsche Sammlung absetzen konnte. Vielleicht erzeugt die Darstellung der politischen Realität Israels hier Berührungsängste. Nebenbei hat Dvir auch noch ein hinreißend surreales Objekt Axel Schlesingers abgesetzt, dessen frisch in diesem Jahr entstande Konstruktion rotierender A 4 Blätter auf einer von Farbdosen getragenen Spanplatte einer großen institutionellen Sammlung 5.000 EUR wert war. Die Galerie prophezeit Schlesinger eine große Zukunft. GG

Bild - Pavel Wolberg, Ohne Titel, 2000, Courtesy of Dvir Gallery, Tel Aviv

Die Kunstszenen Asiens

Es ist klar, dass man in einem eineinhalbstündigen Panel zur asiatischen Kunstszene nur Oberflächen streifen kann. Zudem bewirkt die Einteilung eines zeitgenössischen Kunstschaffens in Regionen, Nationen und Kontinente eine Vereinheitlichung, die der realen Diversität nicht gerecht wird. Auf die „falschen“ Mechanismen der Repräsentation wies auf diesem Panel Carson Chan hin und untergrub so das vorgegebene Thema. Kann man überhaupt über „die“ Kunstszene Asiens sprechen? Zusammen mit den Kuratoren Shaheen Merali und Tereza de Arruda, die als Moderatorin eingeladen war, verantwortete er jüngst ein Ausstellungsprojekt zur asiatischen Kunstszene in Berlin. Als Raum wurde dafür eine Kirche in der Auguststraße gewählt, um westliche Präsentationsweisen von Kunst zu thematisieren. Die Ausstellung wollte in Frage stellen, inwiefern man überhaupt von „dem“ Asiatischen sprechen könne, von einer gemeinsamen Ästhetik und Geschichte. Doch wie der anschließende Beitrag von Carol Lu zeigte, lässt diese Form dekonstruktiver Kritik allzu leicht hinter sich, dass es politische und kulturelle Gemeinsamkeiten gibt, die eine gewisse gemeinsame künstlerische Identität erzeugen. In ihrem informativen Vortrag parallelisierte die in Peking lebende Kuratorin und Kritikerin Lu die zeitgenössische und die Kunstszene der 1980er Jahre in China und fragte, weshalb in beiden Zeiten ein Desinteresse gegenüber der politischen Realität seitens der Künstler herrsche. Im Rückblick auf die 1980er könne man von einer Art chinesischer Renaissance sprechen, in der es galt, Ausdrucksformen für das zerstörte Selbst zu finden. Der kritische Diskurs der Intellektuellen stand dabei in Opposition zur aktuellen politischen Agenda, die sich ihrerseits für Kunst nicht interessierte. Die heutige Zeit wiederum lenke durch den erstarkenden Markt eine ungeheure Aufmerksamkeit auf die Kunst. Dies löse neue Irritationen aus, ein neuer Pragmatismus und eine neue Konsumhaltung bewirkten ein Gefühl der Leere, Ohnmacht und Ziellosigkeit. Künstler wie Ai Weiwei, die noch in den 1980ern eigene Inhalte verfolgten, ließen sich nunmehr instrumentalisieren für den Ausverkauf einer angeblich authentischen, chinesischen Kultur, deren Erfolg sich jedoch kaum mehr ohne diese Schablone erklären ließe. Der Beitrag von Gregory Knight setzte einen Fokus auf die indische und taiwanesische Kunst. In zwei neueren Ausstellungsprojekten hatte Knight die Arbeiten zeitgenössischer Künstler aus Chicago und Taiwan kontrastiert („Ten Artists from Chicago and Koahsiung, Impermanance“) sowie in „New Narratives“ das zeitgenössische Kunstschaffens Indiens präsentiert. Während seine Vorredner sich kritisch mit den ästhetischen und politischen Mechanismen des Kunstsystems auseinandergesetzt hatten, wirkte dieser Beitrag etwas schmal. Wie die derzeitigen Bedingungen der Kunstproduktion in diesen Ländern sind, wurde leider nur am Rande gestreift. (ART FORUM BERLIN Talk – Die Kunstszenen Asiens - 1. Oktober 2007, 15 Uhr) AS

Bild - Carson Chan, Galerist, Program Initiative for Art + Architectural Collaborations, Berlin

Guy Bärtschi: Die Veteranen leben - und spielen Geld ein

Totgesagte kehren auf den Markt zurück. Die klassische Netzkunst, Mitte bis Ende der neunziger Jahre unter dem kryptischen Kosenamen Net.art als Heilbringerin der Medienkunst besungen, ist in Ausstellungen kaum noch präsent. Vorbei die Zeit, in der Netzkünstler im Kunstbetrieb Furore machten, indem sie erklärten, keine Künstler zu sein - und New Yorker Großmuseen 3,5"-Disketten sammelten, um ihr Stückchen Media Hype in die Videoabteilung integrieren zu können.
Heute bedarf es schon wieder besonderen Mutes, mit einem in der Wolle gefärbten Netzveteranen wie Cory Arcangel auf einer Messe anzurücken. Die Genfer Galerie Guy Bärtschi beweist in Berlin nicht nur diesen Mut, sondern vertritt Arcangels medialen Konzeptualismus auch mit Begeisterung und kaufmännischem Erfolg gegenüber neugierigen Besuchern.
Arcangels Sweet 16, die Verwandlung eines Guns N' Roses-Videos in eine Minimal Music-Schleife von der Klangfarbe einer Steve Reich-Komposition, ist keine der Webvideo-Arbeiten aus der Pionierzeit des Künstlers, sondern zielt auf die große installative Präsentation. In dem Stück werden zwei verschiedene Bearbeitungen der Intro des ursprünglichen Guns N' Roses-Musikvideos parallel projiziert. Während das eine Videobild kontinuierlich der Vorlage folgt, ist die andere Schleife schnittechnisch auf wenige Bilder reduziert und dünnt das Stück wie im Zeitraffer aus. Akustisch ensteht aus dieser mechanischen Asynchronizität der zwei Schleifen dennoch ein einheitliches Klangbild, das an die erhabene Ästhetik des musikalischen Minimalismus erinnert. Dem Käufer war diese 2006 entstandene Übersetzung archaischer Webästhetik in eine theatrealische Geste 22.000 Euro wert. Auch Hervé Graumann, ein Künstler ähnlicher Provenienz fand in der alten Netzkunsthauptstadt Berlin einen Liebhaber, dem ein technoides Objekt namens Loading-Gray #1 (2007) 4.500 Euro wert war.
Insgesamt wurde die Galerie bei ihrem ersten Berliner Auftritt für eine geschickte Mischpräsentation belohnt. Wim Delvoyes sattsam pressenotorische tätowierte Schweinehaut Benjamin von 2002 ging für 85.000 Euro über den Tresen. Marina Abramovics Entering the Other Side, ein Monumental-Cibachrome von 2006, lies sich für 75.000 Euro absetzen. GG

Bild - Cory Arcangel, "Sweet 16", 2006, Courtesy of Team Gallery, New York

Das Gesicht der Biennalen - Besonderheiten kuratorischer Praxis

Seit einigen Jahren ist das Ausstellungsformat Biennale beliebtes Gesprächsthema auf internationalen Podien. Weit über Hundert soll es von den temporären Veranstaltungen mittlerweile geben, wobei die Zahl zunimmt. Gerne wird auf Podien diskutiert, wie sich die politischen und kulturellen Bedingungen vor Ort zur Internationalität und zur Globalität des Ausstellungsformates verhalten. Sind Biennalen nicht vielmehr so etwas wie „dropped sculptures“, die ungeachtet der räumlichen Gegebenheiten wie das Blaue vom Himmel fallen? Können Biennalen für das jeweilige Umfeld mehr bewirken als eine bloße Finanzspritze? Und wie erreicht man auch so etwas wie eine kulturelle und politische Nachhaltigkeit? Der Sichtweise, Biennalen seien in sich homogene Veranstaltungen, widersprach die russische Kuratorin und Kritikerin Iara Boubnova. Sicher könne man nie von perfekten Bedingungen sprechen und sicher seien internationale Ausstellungsformate wie eine Biennale nicht immer Mediatoren zwischen dem Lokalen und dem Globalen, jedoch arbeiteten jedes Mal unterschiedliche Kuratoren, Künstler und Politiker zusammen. Und gerade die lokalen Gegebenheiten machten eine Biennale zu einem jedes Mal anderen Produkt. In diese Richtung sprach auch Anselm Franke. Zusammen mit Hila Peleg wird er die kommende Manifesta-Biennale in Norditalien in einem Team mit weiteren Kuratoren gestalten. Es sei das Ausstellungsformat selbst, das bestimme, wie die Ausstellung erscheine. Daher müsse man seine Spezifität in der Ausstellung selbst reflektieren und mit anderen Formaten kontrastieren. Beim Einbinden der lokalen Kultur müsse man aufpassen, dass dies nicht in einer Art Freak Show ende. Adam Szymczyk – nächster Kurator der Berlin Biennale 2008 zusammen mit Elena Filipovic, die auch auf dem Panel saß – verwies darauf, dass neben den ästhetischen und politischen Bedingungen viel zu selten über die konkreten ökonomischen gesprochen würde. So müsse man auch die Frage stellen, warum Biennalen mit einem Mal wieder verschwänden oder was es bedeute, wenn sich Orte Biennalen schlicht nicht leisten könnten. Filipovic wiederum verwies auf den aktuellen Kontext dieses Panels auf dem Art Forum: Während man auf der Messe über das Format Biennale spreche, würde man auf Biennalen das „Genre“ Markt gerne ignorieren. Hans Ulrich Obrist, Kunstkritiker und derzeit Kurator bei der Londoner Serpentine Gallery, sprach sich in einem fernmündlichen Referat dafür aus, dass das Temporäre und Ephemere einer Biennale nicht als ihre Negativpole anzusehen seien, sondern als Möglichkeiten für einen stets offenen Prozess des Ausstellungsmachens. Abgesehen von den nicht wirklich neuen Fragen des Moderators Mark Gisbourne, Kurator und Kunstkritiker, war eine doch interessant: Wie passt in ein Sprechen über die politischen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen einer Biennale eigentlich die Kunst? Dazu kam es gestern nicht wirklich. (ART FORUM BERLIN Talk – Biennalen III – 30. September 2007, 17:30 Uhr) AS

Arndt & Partner: Unzufrieden auf hohem Niveau

Wenig zufrieden ist man bei Arndt & Partner. So ist etwa die gesamte Collagenserie von Thomas Hirschhorn noch zu haben. „Und die verkaufen wir normalerweise am laufenden Meter“, war vom Stand ratlos zu vernehmen. Verkauft ist dagegen Donata, eines der tätowierten Schweine von Wim Delvoye, für 155.000 Euro sowie eine Arbeit von Nedko Solakov für 25.000 Euro. Dass Solakov nach seinem starken Auftritt auf der documenta 12 gut verkauft, ist beinahe selbstverständlich.
Ebenfalls für 25.000 Euro losgeschlagen haben Arndt & Partner eine Malerei von Anton Henning (Portrait Nr. 180) sowie kleinere Arbeiten von Mathilde ter Heijne und Henning Kles für 2.500 Euro bzw. 9.500 Euro. Von Carsten Konrads Wandobjekten an der Außenseite der Koje ist der Salon d’Homme für 6.000 Euro verkauft worden.
Im Großen und Ganzen aber lief es eher „mittelmäßig“, so die Einschätzung. Insgesamt findet sich beim Blick in die Werkliste nur hinter circa jedem vierten Werk der Vermerk „sold“ – aber: „Wir verkaufen in Berlin nie soviel wie auf der frieze oder in Miami.“ Natürlich, denkt man. Es scheint mal wieder, als seien die kleineren bis mittelgroßen Galerien mit dem ART FORUM BERLIN auch auf der Verkaufsebene zufriedener als die Global Player. DM

Bild 1 - Wim Delvoye, „Donata“, Arndt & Partner, Berlin
Bild 2 - Karsten Konrad, „Salon d’homme“, Arndt & Partner, Berlin

Neue Museen in Dubai und Abu Dhabi

Die Big Player der westlichen Kunst- und Kulturinstitutionen zieht es derzeit in die arabischen Emirate Abu Dhabi und Dubai: Nicht nur planen das Guggenheim und das Louvre eine dortige Dependance, sondern auch die New York University will einen Campus und die Pariser Sorbonne ein Bildungsprogramm einrichten. Den großen Kunsthäusern werden zahlreiche kleinere nachziehen und mit ihnen Stararchitekten, die die Institutionenlandschaft gestalten werden. Diese Vorhaben lösen starke Kontroversen im Kunstbetrieb aus. So sprach die französische Kuratorin Francoise Cachin unlängst davon, das Louvre verkaufe mit der Neueröffnung einer Dependance im arabischen Raum seine Seele. Unter der Moderation der Kunstkritikerin und Kuratorin Doreet Harten waren folgende Diskussionsteilnehmer auf das Panel des ART FORUM BERLIN eingeladen: Jean-Hubert Martin, bis 2006 Direktor des Düsseldorfer museum kunst palast und nun in beratender Funktion für die Louvre-Dependance zuständig; Solmaz Shahbazi, Filmemacherin und Künstlerin aus Teheran; Ali Khadra, Herausgeber des Kunstmagazins Canvas und in beratender Funktion für den arabischen Raum bei Christies tätig sowie Markus Brüderlin, seit 2006 Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg. Die Fragen lauteten: Wird mit der Neueröffnung alteingesessener westlicher Kulturinstitutionen ein Versprechen der Moderne eingelöst, das heißt die breite Vermittlung von Kunst und Kultur?

Oder wandeln sich die Museen am neuen Ort zum Disneyland? Haben wir es mit einer neuen Form der Kolonialisierung zu tun, die gegen teure Öldollars westliches Kulturgut in die arabischen Länder importiert? Oder führen solche Schritte zu neuen Möglichkeiten des interkulturellen Austausches? Khadra, der sich mit westlichen Vorbehalten konfrontiert sieht, hielt ein Plädoyer für das interkulturelle und religiöse Miteinander. Die arabischen Emirate seien zudem selbst keine homogenen Einheiten, sondern vereinten Kunstformen unterschiedlicher Religionen und Kulturen. Auch bedeuteten die neuen Institutionen eine große Chance für die Entwicklung von Bildung, Demokratie und Wohlstand für die Menschen in den arabischen Emiraten. Martin sieht in der neuen Museumslandschaft erstmalig Möglichkeiten, westliche Präsentations- und Erzählweisen von Kunst in der europäischen Geschichte spezifisch zu reflektieren und zu hinterfragen. Den Ausverkauf westlicher Kultur könne er nicht sehen, Teile der Sammlung aus dem Louvre würden zunächst nur zehn Jahre am neuen Ort verbleiben. Brüderlin hingegen gab zu bedenken, dass sich dort bereits zeige, was aktuell auch in Europa festzustellen sei – nämlich der Rückzug staatlicher Förderung aus der Kultur und der zunehmende Einfluss privater Gelder. Die Filmemacherin Shahbazi gab sich bei aller Aufregung zurückhaltend. Sie erwarte keinen bedeutenden Wandel für die Region, sagte sie, zudem sei die jüngste Entwicklung logisch – Abu Dhabi und Dubai seien ganz einfach weitere neue Märkte, die eben nun erschlossen würden. (ART FORUM BERLIN Talk – Jenseits des Mittelmeers – Kunstszenen im Aufbruch II: Neue Museen in Dubai und Abu Dhabi – 30. September 2007, 15 Uhr) AS

Bild 1 - Markus Brüderlin
Bild 2 - Doreet Harten

Montag, 1. Oktober 2007

Elizabeth Dee wird Mitglied des Galerienbeirats

Elizabeth Dee hat ihren Stammsitz in New York und wird dort auch bleiben - an der Adresse 545 West, 20th Street. Das liegt mittendrin im Galerienviertel von Chelsea. Aber nach Berlin wird sie im kommenden Jahr schon deshalb wieder müssen, weil sie in diesem Herbst die Aufgabe übernahm, dem Internationalen Galerienbeirat des ART FORUM BERLIN anzugehören.
Doch auch ohne von dieser Ehre zu wissen, wurde ihre Galerie in den letzten Tagen vom Publikum überrannt. Dabei ist das filmische Kunstwerk, um das es dabei geht, von außen gar nicht zu erkennen. Man musste linkerhand abbiegen, hinter die Wand, hinein ins schwarze Dunkel. Dort läuft - wirklich BlackBox - auf drei Großbildschirmen die Arbeit der New Yorker Fotografin und Video-Autorin Miranda Lichtenstein. Es geht, gelinde gesagt, ums Tanzen. Ums Tanzen zu Trommeln, harten Takten und ab und an auch zu schamanischen Tönen. Um ein haltloses Hingeben, ums Tanzen bis zum Umfallen. Um Trance. Im Film (die Edition von 5 für je 10 000 US-Dollar) war der laute und wiederholende Ausruf zu hören: "Are You ready to dance?" Draußen im Hellen, wenn sich die Augen wieder ans Licht gewöhnten, erwartet das Galeriepersonal noch bereitwilligere Antworten auf die Frage: Are you ready to buy? ( Elizabeth Dee, Halle 20, Stand 138) TH

Finnische Schlager: TaiK verkauft ungebremst

Als einer der Top-Seller der Messe entpuppt sich inzwischen TaiK aus Helsinki. TaiK ist keine offizielle Galerie, sondern eher ein "Galerie-Projekt" der University of Art and Design Helsinki und nimmt bereits zum sechsten Mal am ART FORUM BERLIN teil. Die ausgestellten Künstler haben gemein, dass sie alle an der Fotografie-Klasse der Universität studieren, studiert haben oder unterrichten. Verkauft wurden hier wahre Massen: Von Ola Kolehmainens großformatigen Detailfotografien wurden gleich 16 Exemplare losgeschlagen, mit einem Gesamtvolumen von 150.000 Euro. (Auch am Nachbarstand von Senda aus Barcelona ist Kolehmainen vertreten, auch hier läuft verkaufen sich ihre Arbeiten prächtig.) Von Joonas Ahlavas Arbeiten aus der Serie Thought Patterns gingen zwei Installationsensembles mit jeweils 10 C-prints für insgesamt 120.000 Euro über den Ladentisch der Galerie. Die abstrakten Muster Ahlavas sind nach mathematischen Berechnungen in einer Art Fraktalgeometrie ausgehend von einem einfachen Punktmuster entstanden und verdichten sich im immer weiter laufenden Prozess an unvorhersehbaren Stellen zu schwarzen Löchern.

Von Niina Vatanens Ensemble aus durchgestrichenen Textseiten wurden drei Exemplare à jeweils 15.000 Euro verkauft. Die letzte übrige Version aus der Edition kostet dann auch gleich 20.000 Euro und ist bereits für ein Museum reserviert. Ebenfalls an ein Museum sowie in einer zweiten Auflage an eine große private Sammlung wurde eine unbetitelte Videoarbeit Hannu Karjalainens verkauft, die an der Außenwand der Koje zu sehen ist: 5.000 pro Stück war hier der Preis. Noch nicht verkauft dagegen eine zweiteilige Foto-Arbeit von Jyrki Parantainen namens Personal Museum. "Aber die hängt da erst seit 2 Stunden," hieß es entschuldigend am Stand. DM

Bild 1 - Ola Kolehmainen, Courtesy of TaiK, Helsinki

Bild 2 - Ninna Vatanen, „The red letter (and other confessions)“, Courtesy of TaiK, Helsinki

Hammelehle und Ahrens, Hauff und Andersen: Lautes und leiseres Wohlgefallen

Am Stand der Galerie Hammelehle und Ahrens aus Köln ist sicherlich eine der auffälligsten Arbeiten der diesjährigen Messe zu sehen: die fast 4 Meter hohe Styroporskulptur "Cyclops 1" von Jan Scharrelmann, extra für die Messekoje angefertigt und "just in time" fertig geworden, springt dank ihrer neon-gelben Epoxidharz-Beschichtung und den Ausmaßen sofort ins Auge und wurde für 16.000 Euro verkauft - und was die Galeristen natürlich besonders freut: an die Einkaufskommission der Sammlung Zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik Deutschland. Die Galeristen sind sehr zufrieden mit der Messe und konstatiert, dass das ART FORUM BERLIN 2007 die Tendenz der letzten Jahre bestätigt: "Speziell auf dem Sektor der ganz jungen Kunst kommt man an der Berliner Messe nicht mehr vorbei." Neben der Skulptur Scharrelmanns wurden noch zwei Arbeiten von Ina Weber für jeweils 3.500 Euro, sowie ein großformatiges Ölgemälde Thymian von Matthias Schauffler für 11.000 Euro verkauft. Und wie viele andere auch erhofft man sich hier ein gutes Messenachgeschäft, ja, man rechnet schon fest damit.
Gegenüber bei Hauff ist man stimmungstechnisch weniger enthusiastisch, obgleich auch hier ein gutes Geschäft gemacht wurde. Verkauft hat die Stuttgarter Galerie nicht nur die am Stand ausgestellten Arbeiten, sondern auch vergleichbare Werke der Künstler aus dem Katalog. So wurden von Wolfgang Flads filigranen und skelettartigen Holzskulpturen gleich zwei Exemplare für jeweils 7.500 verkauft. Das großformatige Ölbild von Thomas Locher, das die Galerie am Stand präsentiert, ist noch zu haben, ein anderes der Serie wurde für 22.500 Euro losgeschlagen. In einem ähnlichen Preissegment bewegen sich die Fotografien der Serie Sanitätshaus Hoffmann von Josephine Meckseper. Von den zwei am Stand ausgestellten großformatigen Schaufenster-Interieurs wurde bereits eines für 24.000 Euro verkauft. Noch zu haben dagegen ist hier ein aus frei hängenden Lammellen-Elementen bestehender Vorhang von Lasse Schmidt Hansen für 3.500 Euro. Kommentar und Drohung des Galeristen: "Wir verstehen nicht, warum diese Arbeit nicht sofort verkauft wurde. Wenn sie am Mittwoch noch zu haben ist, dann kaufen wir sie selbst."
Nicht ganz so zufrieden wirkt dagegen der Kopenhagener Galerist Mikael Andersen. Er habe auf der Messe bislang noch nicht so viel verkauft, macht sich aber auch keine Sorgen, da die Eröffnungsausstellung von Kathrine Aertebjerg in seiner neuen Dependance in der Auguststraße komplett ausverkauft sei. An seinem Stand kann man dagegen noch einige Arbeiten von Poul Gernes, dessen Nachlass Andersen verwaltet, erwerben. DM

Bild 1 - Standansicht der Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln

Galerie Martin Mertens verkauft Robert Bartas "Dauerbrenner"

Robert Barta
Dauerbrenner, 2005
Spanplatte, Stoff, Glas, Schrittmotor, Kerze
180 x 25 x 25 cm
Ed. 3 + 1
Courtesy of Galerie Martin Mertens, Berlin
Verkauft für 10.000 EUR

Galerie Amerika: Sehr gute Verkäufe, Optimismus fürs Nachgeschäft

Montagnachmittag, das Wochenende ist vorbei: guter Moment, um kurz durchzuatmen und einen ersten tieferen Blick auf die Verkäufe zu werfen. "Ich bin hochzufrieden", sagt Sebastian Klemm von der Galerie Amerika, einer der Berliner Erstaussteller auf dem Artforum. Nicht nur, dass die Videoarbeit Heimat von Sven Johne gestern den mit 5.000 Euro dotierten Christian Karl Schmidt Förderpreis bekommen hat - die in einer 5er-Auflage erhältliche Arbeit ist bereits zweimal für jeweils 7.000 Euro verkauft. Auch die zweite Arbeit von Johne, das aus 12 kleinformatigen Mdf-Platten bestehende 750 Jahre Kaliningrad ist für 6.000 Euro weggegangen. Die mit sechs Werken am stärksten repräsentierte Künstlerin Peggy Buth darf sich ebenfalls über drei verkaufte Arbeiten freuen. Eine Dreier-Serie kleiner Teer-Portraits (4.000 Euro), sowie eine großformatige Arbeit an der Außenseite der Messekoje (9.000 Euro) sorgen dafür, dass Sebastian Klemm sich keine Sorgen um das Einspielen der Messekosten mehr zu machen braucht.
Besonders stolz ist der Galerist darüber, dass die erste Glasarbeit von Buth, eine Auseinandersetzung mit den kolonialen Mechanismen der Grenzziehung und Aufteilung der Welt, sofort nach der Eröffnung für 4.500 Euro verkauft werden konnte. Noch zu haben dagegen sind die beiden Werke von Falk Haberkorn. Seine Arbeit Versuch einer Selbstkritik, im übrigen die erste nicht raumgebundene Arbeit des Künstlers, sei aber bereits reserviert. Besonders zufrieden zeigte sich Klemm angesichts der Kontaktpflege auf der Messe. "Wir haben unsere bereits bestehenden Kontakte nicht nur bestätigt, sondern auch eine Menge neue und wichtige hinzugewonnen." Das führt zu einem optimistischen Ausblick am Messestand: "Ich bin mir sicher, dass wir über die Messe hinaus noch ein sehr gutes Nachgeschäft haben werden." DM

Sperriges Gesamtkunstwerk: Folke Köbberling & Martin Kaltwasser bei Anselm Dreher

Messe. Montag. Mittag. Anselm Dreher steht aufrecht und pünktlich hinter seiner Galeristentheke in der Installation IFA von Folke Köbberling & Martin Kaltwasser: So schwarzgewandet, wie immer, mit weißem Haar wie gehabt, durch Barrett und Bart und selbst irgendwie zum Kunstwerk erhoben. Galerist seit vierzig Jahren. Bei allem Respekt vor der gelebten Konsequenz, ob es ein erfolgreicher Messejahrgang für ihn wird? Umgehend verwandelt sich der Ort zum Katheder und das Gesamtkunstwerk IFA wird charmant dekonstruiert und hermeneutisch durchdrungen. Anselm Dreher wird jeder Messe-Auftritt schon deshalb zum Erfolg, weil man hier konzentriert vor gutem Publikum seinen Standpunkt klären kann.
Die Arbeit selbst entstand fast in situ. Eine vorangegangene Messe am gleichen Ort lieferte den beiden Installationskünstlern aus Berlin ihren Stoff. Sie wussten: Endlos viel Baumaterial wird Jahr um Jahr in jenen drei Wochen vor der Internationalen Funkausstellung IFA erst penibel zur Ausstellung aufgebaut und dann nach Abschluss binnen weniger Stunden wieder zerdroschen und zerhackt. In diesem Moment setzten sie an. Die Geschichte des Messeabbaus ist als Handlung und in Interviews per Video festgehalten. Ohne Vorschlaghammer und Kreissäge geht dabei nichts. Und aus den materiellen Bau-Resten haben die beiden Berliner ihre begehbare Skulptur IFA jetzt in Drehers Koje gebaut. Rein stofflich genommen zauberten sie damit ein wunderschönes Recycling-Wunder "für lau". Und stilistisch gesehen scheinen sie die halbe Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts in zwei Etagen hochkant frisch zusammenzunageln. Es finden sich Anklänge an die Rosta-Fenster der russischen Konstruktivisten, an Art Brut, an Formen und Farben von Kabakov bis Rothko. Und ans Ready Made denkt man sowieso. Der erweiterte Skulpturbegriff als Spielplatz und Aussichtsturm - spaßig und sperrig - die Besucher nehmen es flott in Besitz. Wegzutragen ist es ja nicht. (Anselm Dreher, Halle 20, Stand 143) TH

Rubicon Gallery glaubt an die Iren auf dem Berliner Markt

Ja - Auf jeden Fall! Josephine Kelliher wiederholt noch ein paar mal und in blumigen Variationen ihre frohe Antwort auf die schlichte Frage, ob es eine richtige Entscheidung war, sich für eine Messe in Berlin zu bewerben. Sie hätte sich vor allen Dingen von der Atmosphäre beflügeln lassen, von dieser Lebendigkeit, der Szene, den jungen Gästen und ihren vielen verschiedenen Gesprächen rund um die Kunst. Denn meistens ging es gar nicht um den Preis. Das ist eigentlich kein Wunder. Die Künstlerliste der Rubicon Gallery aus Dublin ist in Berlin erst wenig bekannt. Aber Namen wie Hughes, Molloy oder O`Callaghan - die "Young Irish Artists" - sind nach Mrs. Kellihers Meinung für die Berliner stark im Kommen. Und wenn man ihre Verkäufe in diesen Tagen ansieht, hat sie wohl irgendwie Recht. Üblicherweise werden bislang die Talente von der grüne Insel ja erst dann auf dem europäischen Kontinent entdeckt, wenn sie über den transatlantischen Umweg nach Europa zurückkommen. Liam O`Callaghan nannte deshalb seine Kamera-Arbeit gleich programmatisch I'm a Success und plant seine nächste Einzelausstellung nicht für den amerikanischen Markt, sondern mit gestärktem Selbstbewusstsein gleich für zu Hause. Er lebt und arbeitet in Dublin. (Rubicon Gallery, Halle 18, Stand 123) TH

Energiemarkt Messe - Gerhard Mayer bei Oechsner

Ob der Kunstmarkt bestimmten Regeln folgen will, wird jedes Jahr neu verhandelt. Der Künstler Gerhard Mayer folgt dagegen seinen eigenen strengen Schaffens-Gesetzen, und das schon seit langem. Um seine raffinierten schwarz-weißen Walldrawings genießen zu können, muss man nicht die höhere Mathematik beherrschen, aber es hilft. Ein junger Potsdamer Mathematik-Student, der schon bei Magnetfeldversuchen mit Eisenspänen in Ekstase gerät, konnte beispielsweise den Blick von den neuen Wandzeichnungen kaum loskriegen. Was für faszinierende Linien, welche kontrollierte Annäherung der Punkte, obwohl sie sich nie berühren. Und diese nie ganz kompletten Kreisbahnen, paradox angeordnet und doch mit höchster Genauigkeit auf die Wand gebracht. Volle Akkuratesse und doch mathematisch "immer bißchen falsch" . Zumindest dann, wenn das Kunstwerk ein Mathematiker betrachtet. Vor den Wänden der Galerie und den durchnummerierten Drawings gerieten Künstler und angehender Wissenschaftler dann ins Gespräch. Es ging um Elementarteilchen und Punkte, die sich annähern, aber höchstens im Unendlichen treffen. Um Dynamik, Materie und Spin. Es war kein Verkaufsgespräch, und der Besucher hatte am Ende nur eine Fotografie mit dem Handy gemacht. Messen sind nicht nur Handelsplätze. Sie dienen auch dem Energieaustausch.
(Freestyle, Halle 11/2, Stand 110, Galerie Oechsner, Nürnberg) TH

Natalie Czech bei Rudolph

Als diesjährige Jahresstipendiatin des Else-Heiliger-Fonds gönnte sich Natalie Czech ungewöhnliche literarische Genüsse und hat für ihre installative Arbeit an And and and die schöne Novelle von Jane Austen buchstäblich tranchiert. Mit solcher eigenwillig geschärften Art zu schmökern setzte die Künstlerin den viktorianischen Lese-Stoff aus Emma Watson in völlig neuen Zusammenhang. Englische Vokabeln - ganz fabelhaft exakt ausgeschnitten, vergrößert, sortiert nach Alphabet und auf weißem Tuch in fallende Reihen gebracht - damit entsteht eine poetische Laken-Lektüre, die offenkundig daran erinnert, dass die besten Texte am Ende doch auch gute Bettgeschichten sind. Wobei wir beim Schlaf als zweitgrößtem Kunstwerk der Natur gelandet wären und bei der Frage, wie sich der künftige Besitzer die Laken zunutze machen wird. (Galerie Rudolph 18/111) TH

Galerie Sollertis: Tetris dreidimensional

Brice Fauché ist mit seiner Gallerie Sollertis aus Toulouse zur "Berliner Liste" gekommen. Er präsentiert den jungen Künstler Damien Aspe (geb. 1973), der aus bunt lackierten Holzquadern eine Matrixmauer errichtete, die das Computerspiel "Tetris" in ein dreidimensionales Arrangement verwandelt. Das 1985 in Moskau von Alexei Paschitnow erfundene "Tetris", eine Art Ur-Legende der Computerspiele und jahrelanger Gegenstand eines kalten Krieges um Lizenzen, gelangte ein Jahr später auch auf den westlichen Markt - allerdings mit dem Titel: "From Russia with fun", ein Spiel für echte Bonds eben. Aspe zeigt in seiner Arbeit den Suchtfaktor der Spiele auf - der Computerfreak wird zum Gefangenen seines Screens. EP

Bild - Damien Aspe bei Sollertis, Toulouse

Holzweg - Alicja Kwade entdeckt im Müll Mahagoni

Die polnische Künstlerin Alicja Kwade hatte bei deutschen Kunstprofessoren sieben Jahre studiert. 2005 beendete sie ihre Ausbildung erfolgreich als Meisterschülerin von Christiane Möbus. Den genauen Blick für Material und Struktur aber brachte sie von zu Hause mit. Den hat sie geerbt. So entdeckte die Tochter eines Restauratorenvaters in einer seltsam dunklen Euro-Palette ein verborgen schlummerndes Kunstwerk. Sie erklärte die weggeworfene Transporthilfe vom Hinterhof ganz einfach zum Fundstück, holte sie aus dem Regen ins Trockene und begann den zurückgelassenen Nutzgegenstand, dessen Material sich als genuines Edelhozl erwies, mit Liebe zu verwandeln. Zwei Jahre lang wurde gewienert, lackiert, poliert und geschliffen. Wieviel Schellack und Watte diese Rückverwandlung vom Transportholz zu Mahagoni kostete, liess sich nicht mehr benennen. Die Metamorphose aber ist gelungen und der Auftritt ist glänzend. Die "Palette" liegt nun als objet trouvé in der Galerie Lena Brüning ( Stand 107). Es wurde am ersten Abend verkauft. TH

Bild - Alicja Kwade, "Palette", Courtesy of Galerie Lena Brüning, Berlin

Sven Johne erhält den Christian Karl Schmidt Förderpreis

Sven Johne ist der diesjährige Preisträger des Christian Karl Schmidt Förderpreises für zeitgenössische Kunst. Der Preis wird seit 2002 zum sechsten Mal im Rahmen des ART FORUM BERLIN an einen Künstler vergeben und soll ein künstlerisches Werk fördern, das "sich aufgrund seiner Komplexität auf dem Kunstmarkt nur schwer durchsetzen kann." Die bisherigen Preisträger Michael Sailstorfer, Birgit Brenner, Tobias und Raphael Danke, Florian Slotawa und im letzten Jahr Julien Berthier haben eine derartige Problematik bereits weit hinter sich gelassen. Katharina Ehler, Vertreterin der Stiftung öffentlichen Rechts, ist stolz, mit dem Preis, der von ihr und ihrer Familie getragen wird, eine so gute Nase für die junge Kunst bewiesen zu haben. Weitere Mitglieder der Jury waren in diesem Jahr Katja Blomberg (Direktorin im Haus am Waldsee) und Niklas Maak (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Der Preis in Höhe von EUR 5.000 wird im Verhältnis 3:2 zwischen Künstler und Galerie, in diesem Fall der Berliner Galerie Amerika, aufgeteilt.
Sven Johne, der in Leipzig bei Timm Rautert Fotografie studiert hat, arbeitet seit Kurzem parallel mit dem Medium Film; auch auf dem Art Forum ist er mit einem Video vertreten. Seine eigenwilligen Wort-Bild-Kompositionen sind Hybride aus Dokumentation und Fiktion, die zwischen Ironie und Anteilnahme die Niederungen gesellschaftlicher Phänomene und alltäglicher Realität am Schicksal des Einzelnen ausmessen. Die lakonische Erzählstruktur seiner Arbeiten erlaubt eine größtmögliche Distanz bei gleichzeitig sezierendem Blick hinter die statisch-glatte Erscheinungswelt. Damit folgt die Jury der Philosophie des Preises und zeichnet mit Sven Johne ein erfrischend prägnantes und luzide hintergründiges Werk aus. AH

Fotografie auf der Berliner Liste

Bei Horst Dietrich errichtete die Fotografin Bettina Weiß für ihre Nahaufnahmen von Tiernachbildungen eine bühnenartige Kulisse, in der sie künstliche Natur zelebriert. Durch das Verwenden einer Nahlinse werden starke Schwankungen in der Tiefenschärfe erzeugt, Bilder wie Räuberreh, in der ein Bambi sich gar zu neugierig einem kleinen Teddy nähert, wirken wie surrealistische Porträts.

Der junge Fotograf Tom Leighton (geb. 1981), der letztes Jahr seinen Abschluss am Royal College of Art in London absolvierte, zeigt bei Cynthia Corbett seine Berlin-Serie. Seine Metropolis erscheint uns bekannt und doch führen uns seine digital manipulierten, auf symmetrische Achsen hin komponierten Fotografien in eine utopische Fiktion. Ganz anders geht der 1979 geborene Thüringer Konrad Henker bei Galerie grounded vor. Für seine Alpenradierungen nimmt er große körperliche Anstrengungen in Kauf, erzählt Galerist Uwe Kreißig: "Henker hat eine eigene Form der Annäherung an das Alpenbild gefunden. Er fertigt die Radierung auf Platten auf dem Berg an, in Wintern im Iglu. So verbringt er teilweise zwei bis drei Wochen für sich, um diese Aura der Unwirtlichkeit herzustellen." Auch die Galeristin Concha Fontenla hat mit ihrer Galerie C5 colección aus Santiago de Compostela einige Fotografen mitgebracht. Manuel Sendón (geb. 1950), inzwischen Professor für Fotografie in Pontevedra, verschaffte sich Reputation durch die gleichsam kritische wie ästhetische Stimme seiner Fotografie. In der Serie "Casas dolientes" dokumentiert er die "Wunden" alter Häuser, die eigentlich schon seit Jahren restauriert sein sollten. Man erahnt die architektonischen Schätze Galiziens, die auch von der jungen Antía Moure in Innenansichten verlassener Wohnungen und alter Fabriken präsentiert werden. EP

Bild 1 - Bettina Weiß bei Galerie Horst Dietrich, Berlin

Bild 2 - Tom Leighton bei corbettPROJECTS, London

Satellitenmesse Berliner Liste: Bloß keine Experimente!

So wenig "off" gab's noch nie. Auf der Berliner Liste, bereits zum vierten Mal Satellitenmesse zum ART FORUM BERLIN, sind in diesem Jahr 59 Galerien aus 11 Ländern vertreten. "Nur ein Fünftel der Galerien ist in Berlin zuhause", betont der Initiator der "Liste", Wolfram Völcker. Erwartet werden über 12.000 Besucher, was 2.000 mehr als im Vorjahr wären und eine satte Vervierfachung seit der Gründung 2004. Auch herrscht in diesem Jahr unter den Galeristen einträchtige Zufriedenheit mit der Location: Der denkmalgeschützte ehemalige Postgüterbahnhof mit 3000 Quadratmetern Grundfläche direkt am Gleisdreieck ist messeerprobt, dort findet auch die Modemesse Premium statt.

Betrachtet man nun das diesjährige künstlerische Programm, ist nur wenig Skulptur zu sehen, von einigen Ausnahmen wie der Passanten-Riege des Schwaben Peter Hermann bei Peters-Barenbrock oder den aus Lindenholz geschnitzten Edekafrauen von Kristina Fiand bei wagner + marks abgesehen. Die Künstlerin hat sich beim Supermarkteinkauf die Damen vor den Theken genau angeschaut und mit ihren Lockenwicklern, Einkaufstaschen und Hornbrillen in Miniatur wiedergegeben. Wenn sonst Plastik zu sehen ist - wie bei Stucken Art Consulting der Schwarze Kreis von Jürgen Paas, der mit Acrylmalerei, Aluwelle und PVC-Farbbändern konstruktivistische Insignien wiederzugeben weiß - dann ist sie Raum sparend und uniperspektivisch an der Wand angebracht, fast wie die Flachware der Kollegen.
Man sieht sehr viel Gutes auf dieser "Liste", recht viele bekannte Gesichter und nur weniges, worauf man leicht hätte verzichten können, wie die zu häufig gesehenen Marilyn-Monroe-Motive von Bert Stern bei Andreas Baumgartl. Wer wahre Lust auf Experimente hat, für den sind die Satellitenmessen wohl doch schon zu etabliert. Aber nach off kommt offoff - und im Moment sieht es nicht so aus, als ob Berlin an Spannung verlöre. EP